Jahrelang hat das Insolvenzanfechtungsrecht die Existenz mittelständischer Unternehmen bedroht. 2017 wurde das Gesetz endlich reformiert und mehr Rechtssicherheit geschaffen. Seitdem können Gläubiger im Wege der Insolvenzanfechtung nur noch vier Jahre anstatt zehn Jahre rückwirkend belangt werden. Die Begründung von Anfechtungsklagen wird erschwert. Im Ergebnis werden auch mittelständische Unternehmen der Galvano- und Oberflächentechnik entlastet. Der ZVO begrüßt die Reform des Insolvenzrechts sieht jedoch weiteren Handlungsbedarf.
Am 16. Februar 2017 hat der Bundestag dem Gesetzesentwurf zur „Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz“ der Bundesregierung zugestimmt. Das Gesetz ist seit dem 5. April 2017 in Kraft (BGBl. I Nr. 16 vom 4. April 2017, Seite 654 f). Die Gesetzesänderung mit dem sperrigen Namen bringt wichtige Erleichterungen für mittelständische Unternehmen und behebt Mängel, die in den vergangenen Jahren für betroffene Betriebe ein existenzgefährdendes Potenzial entwickelt haben.
Zwei der Neuerungen betreffen § 133 der Insolvenzordnung (InSO). Er erlaubte bisher Anfechtungen von Zahlungen zehn Jahre rückwirkend, sofern Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit eines Schuldners vermutet werden konnte. Nach allgemeiner Auslegung dieser Regel wurde Zahlungsunfähigkeit bisher bereits dann vermutet, wenn eine schleppende Zahlung, eine Nichtzahlung einer einzigen Verbindlichkeit, Vollstreckungsversuche, geplatzte Schecks oder geschlossene Ratenzahlungsvereinbarungen vorlagen. Diese Regelung führte zu erheblicher Rechtsunsicherheit, vor allem bei kleinen und mittelständischen Unternehmen.
In der Revision von 2017 hat der Bundestag nach jahrelangem Drängen diese Probleme deutlich entschärft. Im § 133 Absatz 2 InsO wurde neben der Verkürzung des Anfechtungszeitraum von zehn auf vier Jahre auch die Formulierung entschärft, die Anfechtungsklagen ermöglicht. Bei der Zahlung fälliger Rechnungen ist die Leistung nur noch anfechtbar, wenn der Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit kannte (nicht mehr wie bisher: die drohende Zahlungsunfähigkeit). Bei Zahlungserleichterungen, die einem Schuldner gewährt wurden, wird nun gesetzlich vermutet, dass der Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht kannte.
Weitere Erleichterungen wurden in den § 142 eingeführt. Er behandelt die sogenannten „Bargeschäfte“, bei denen nach Erbringen einer Leistung eine sofortige Gegenleistung folgt. Eine Anfechtung ist hier nunmehr nur dann möglich, wenn der Gläubiger erkennt, dass der Schuldner unlauter gehandelt hat.
§ 143 betrifft die Verzinsung der Herausgabeansprüche, die bei bestehender Anfechtbarkeit entstehen. Diese waren vor der Gesetzesänderung ab dem Tag der Insolvenzeröffnung zu verzinsen. In Zukunft wird eine Verzinsung nur noch im Fall eines Schuldnerverzugs fällig. Diese Neuregelung führt dazu, dass sich ein Abwarten mit Anfechtungsklagen bis kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist zur Geltendmachung von Ansprüchen nicht mehr lohnt. Dieses Vorgehen wurde bislang von Insolvenzverwaltern gerne als weitere, lukrative Einnahmequelle genutzt, da so gerade im Niedrigzinsumfeld die Insolvenzmasse durch weitere Zinsforderungen erhöht wurde. Im Gegensatz zu den anderen Änderungen findet der geänderte § 143 InsO auch bei noch laufenden Verfahren für die Zeit ab dem 5. April 2017 Anwendung.
Hintergrund der monatelangen Verzögerung bis zur Verabschiedung dieses Gesetzes war eine lange Diskussion der Finanzpolitiker bezüglich des Vorschlags der Bundesregierung zur Einführung eines sogenannten „Fiskusprivilegs“ (das gezahlte Sozialversicherungsbeiträge und Steuern weitgehend vor Anfechtung schützen sollte) unter § 131 InsO. Dies lehnte der Bundestag letztlich ab, wonach § 131 derzeit unverändert bleibt. Der Fiskus und die Sozialversicherungsträger werden nicht bessergestellt als die Unternehmen.
Der ZVO hat den politischen Prozess von Anfang an eng begleitet, da das Insolvenzrecht für seine überwiegend mittelständischen Mitgliedsunternehmen eine wichtige Rolle spielen kann. „Die erzielten Änderungen führen zwar zu mehr Rechtssicherheit für die gesamte Branche der Oberflächentechnik. So müssen dank des verkürzten Anfechtungszeitraums nun weniger Rückstellungen gebildet werden. Das steigert die Liquidität und verbessert die Kreditwürdigkeit der Galvanikunternehmen“, so ZVO-Hauptgeschäftsführer Christoph Matheis. „Dennoch lassen sich Insolvenzanfechtungen durch das neue Gesetz nicht wirksam verhindern. Die finanziellen Risiken werden allenfalls reduziert und berechenbarer. Das Anfechtungsrisiko verlangt nach wie vor Aufmerksamkeit.“
Betroffene Unternehmen sollten daher ihr Bewusstsein für diese Risiken schärfen und Möglichkeiten der Prävention – Bonitätsprüfung, Eigentumsvorbehalt, Bankbürgschaften oder Vorkasse – nutzen. Bei einer länger anhaltenden Schieflage eines Kunden sind die Anfechtungsrisiken kaum noch beherrschbar und die Geschäftsbeziehung sollte gegebenenfalls beendet werden.
Auch auf europäischer Ebene wurde das Insolvenzrecht nun angepasst. Hintergrund war laut EU-Kommission die defizitäre Harmonisierung im EU-Binnenmarkt, welche das ordnungsgemäße Funktionieren der Kapitalmärkte einschränkte.
Die EU-Kommission führte daher bis Mitte Juni 2016 eine Konsultation durch, um Stakeholder zu harmonisierten Prinzipien und Standards für Insolvenzen – in einem grenzüberschreitenden Kontext – zu befragen. Ende November 2016 stellte die EU-Kommission einen Vorschlag für eine Harmonisierung des Insolvenzrechts vor. Einen Fokus legte die EU-Kommission dabei auf bessere Möglichkeiten zur Restrukturierung und darauf, eine „Zweite Chance“ für insolvente Unternehmer zu ermöglichen. Entschuldungen sollen deshalb spätestens nach drei Jahren abgeschlossen sein, Berufsverbote nach einer Insolvenz spätestens mit Ablauf der Entschuldungsfrist außer Kraft treten. Mittels flexibler und präventiver Umstrukturierungsrahmen sollen nach dem Willen der EU-Kommission „langwierige, komplexe und kostspielige Gerichtsverfahren“ vereinfacht werden.
Der Bundesrat äußerte bereits während des laufenden Legislativverfahrens Bedenken wegen der vorgeschlagenen europäischen Regelungen. Die Länder befürchteten, dass „das abgestimmte und gut funktionierende deutsche Insolvenzrecht außer Kraft gesetzt wird“. Der Vorschlag habe zu sehr die Schuldnerinteressen im Blick, dies erfolge zu „Lasten der Gläubigergesamtheit“. Dies wurde in einer Stellungnahme im März 2017 verschriftlicht und an die EU-Kommission übermittelt.
Der Kommissionsvorschlag wurde in den Ausschüssen des Europäischen Parlaments sowie im Rat der EU intensiv diskutiert. Nachdem das Parlament seinen Standpunkt bereits Anfang Juli 2018 festgelegt hatte, dauerten die Diskussionen im Rat bis Oktober 2018 an. Auch die anschließenden Verhandlungen zwischen Parlament, Rat und EU-Kommission zogen sich hin, bis ein Kompromiss erzielt werden konnte. So wurde der Text erst am 28. März 2019 vom Europäischen Parlament und am 6. Juni 2019 vom Ministerrat „Justiz und Inneres“ final angenommen.
Die neue Richtlinie sieht unter anderem vor, dass ein Schuldner künftig innerhalb von nur drei Jahren eine Entschuldung erreichen kann. Für Unternehmen soll es vereinfacht werden, sich außerhalb eines Insolvenzverfahrens zu sanieren: für vier bis zwölf Monate kann für sie ein „Moratorium“ erklärt werden, welches Schutz vor Vollstreckungsmaßnahmen bieten soll. Nach der Veröffentlichung der neuen Richtlinie im Amtsblatt der EU am 26. Juni 2019 haben alle EU-Länder nun zwei Jahre Zeit, die neuen Vorgaben in nationales Recht umzusetzen.
Der ZVO wird diese Thematik und die weiteren Entwicklungen im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht unter dem Gesichtspunkt von KMU-Interessen eng verfolgen und bei Bedarf den Dialog mit den relevanten Entscheidungsträgern in Berlin und auf Länderebene suchen.